Die Suche nach einem neuen Wirkstoff – derzeit Kosten bis zu mehreren Milliarden Euro. In einigen Jahren kann sich diese Zahl auf einige Millionen reduzieren, schätzen Fachleute. Krebstherapie – sie wird in Zukunft durch individuellere Methoden wirkungsvoller sein, so die Ärzte am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg. Oder auch psychische Erkrankungen – hier lassen sich Verhaltensmuster durch den Vergleich von tausenden Patienten qualifizierter identifizieren. So viel ist sicher: Die erwartbaren Erfolge durch massiven Einsatz von
Big Data Analytics in der Gesundheitswirtschaft werden gigantisch sein.
Europaweite Datenbank
Experten schafften für viele schwerkranke Patienten bereits einen hoffnungsvollen Schritt nach vorne. Führende europäische Wissenschaftler arbeiten derzeit an einer Datenbank, die eine zuverlässigere Prognose bei hämatologischen Erkrankungen ermöglicht und Rückschlüsse auf die bestmögliche Therapie für den einzelnen Patienten zulässt. Dafür tragen die Experten anonymisierte Patientendaten zu Erkrankungen wie etwa Leukämien oder Lymphomen (Lymphknotenvergrößerungen) zusammen. Dieses Projekt HARMONY (Healthcare Alliance for Resourceful Medicines Offensive against Neoplasms in Hematology) wurde von Professor Lars Bullinger, Onkologe an der Ulmer Universitätsklinik, mitentwickelt. Die „Innovative Medicines Initiative“, eine öffentlich-private Initiative für die zügige Entwicklung von sicheren Medikamenten, fördert das Vorhaben mit insgesamt 40 Millionen Euro. Im Zuge dieses Big-Data-Projektes tragen 51 Partner aus elf europäischen Ländern anonymisierte Patientendaten zusammen.
Ordnung finden, Zusammenhänge entdecken
Damit reihen sich die Wissenschaftler in eine Reihe von verheißungsvollen Projekten ein. Denn gerade in der Medizin und in der Gesundheitswirtschaft kann die Datenanalyse ihre Stärken ausspielen. Die Big-Data-Experten der Unternehmensberatung PwC halten fest: „Während der Behandlungen werden immer mehr technische Geräte angewendet, die Daten produzieren. Untersuchungen wie Röntgen, CT, MRT, Blutuntersuchungen oder Dialyse erzeugen eine große Menge an heterogenen Daten. Zusammen mit den ärztlichen Berichten, den persönlichen Patientendaten, seinem historischen Krankheitsverlauf und den Kosten für diese Behandlungen, ist nahezu ein „Meer“ an Daten vorhanden“. Darüber sei die Medizin durch die Heterogenität der unterschiedlichen Datenquellen geradezu geschaffen dafür: „Big-Data-Technologien lassen sich dabei optimal einsetzen, um Ordnung in diesen unstrukturierten Daten zu finden, Zusammenhänge zu entdecken und dadurch Kosten für die medizinische Versorgung zu senken. So kann man beispielsweise während einer Behandlung die Daten ähnlicher Patienten verwenden, um Muster abzuleiten. Diese tragen dann dazu bei, die richtige Entscheidung zu treffen, welche Behandlungsmethoden und Medikamente ein Patient braucht. Somit kann ein Arzt eine individualisierte Behandlung durch Ähnlichkeitsanalysen einleiten“, sagt PwC-Expertin Barbara Lix.
Leistungsvermögen längst nicht ausgereizt
Mit den von Barbara Lix angeführten Themenblöcken ist das Leistungsvermögen von Big Data in der Medizin noch längst nicht ausgereizt. Der Big-Data-Experte Carsten Bange erkennt zahlreiche weitere Ansätze, denen aus technologischer Sicht nur noch kleine Hürden entgegenstehen (siehe Interview). Komplexer muten da eher schon die nicht-technischen Bereiche wie Datenschutz und Datenrecht an. Einen sehr pragmatischen Lösungsansatz diese Probleme aufzulösen, entwickelte unlängst die Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften. So sagt Prof. Dr. Christian Hauser vom Schweizerischen Institut für Entrepreneurship (SIFE) der HTW Chur, der das Projekt geleitet hat: „Die rechtlichen Rahmenbedingungen kommen aus einer Zeit, in der Big‐Data‐Anwendungen noch nicht vorstellbar waren. Dies ermöglicht den Unternehmen, sich ethisch selbst zu positionieren.“ So plädiert der Wissenschaftler einerseits zwar dafür, die Gesetze für einen sinnvolleren Umgang mit den Patientendaten anzupassen. Andererseits rät er Unternehmen aber ebenfalls dazu, beim Einsatz der Technologie nicht nur den „Business Case“ zu betrachten, sondern zudem Konflikte frühzeitig zu eruieren und einen sozusagen „Ethics Case“ in ihre Überlegungen miteinzubeziehen. Dafür entwickelte die Akademie acht ethische Normen und Werte wie beispielsweise „Kontrolle der eigenen (digitalen) Identität“, „Informationelle Selbstbestimmung“ oder „Kontextuelle Integrität“, mit denen die Gesundheitswirtschaft das volle Potenzial von
Big Data heben kann – ohne den Patientenschutz zu vernachlässigen. Mit einfachen Prinzipien also lässt sich Big Data in der Gesundheitswirtschaft zum Erfolg führen.
Misshandlung von Kindern vorbeugen
Wie solch ein Verfahren hierzulande dann in der Praxis aussehen kann, zeigen gerade die beiden Datenspezialisten SAS und Mindshare Technology. Die gemeinsam entwickelte Technologie soll Sozialarbeiter dabei unterstützen, „nahezu in Echtzeit zu erkennen, wie hoch das Risiko beziehungsweise die aktuelle Gefährdung für Minderjährige ist“, so die beiden Unternehmen. Die Lösung weise „die häufig überlasteten Sozialarbeiter“ automatisch auf drohende Gefahren für Kinder hin; so können sie in dringenden Fällen sofort aktiv werden. Denn: Sozialämter und Kinderschutz-Organisationen erhielten zwar ständig Hinweise auf mögliche Misshandlung oder Vernachlässigung von Kindern. Wie akut gefährdet ein Kind aber tatsächlich sei, ergebe sich meist erst dann, wenn weitere Datenquellen hinzugezogen würden – beispielsweise Polizeiberichte oder Datenbanken des Gesundheitswesens, so SAS und Mindshare Technology.
Redaktion: Online