Vier Winter lang musste die Stadt Stuttgart regelmäßig Feinstaubalarm auslösen, wenn aufgrund der Wetterlage eine Überschreitung der Grenzwerte drohte. Stadt und Land riefen die Bevölkerung dann dazu auf, das Auto möglichst nicht in der City zu nutzen. Im April 2020 konnte Stuttgart das Instrument Feinstaubalarm einstellen, nachdem zwei Jahre in Folge die erlaubte Zahl an Grenzwertüberschreitungen für Feinstaub eingehalten wurde.
Die Maximalwerte für Stickstoffdioxid jedoch überschreiten die Messstationen im Stadtgebiet immer wieder erheblich. Deshalb gilt weiterhin der Luftreinhalteplan für die Landeshauptstadt. Er beinhaltet ein ganzjähriges Verkehrsverbot in der Umweltzone Stuttgart für alle Dieselfahrzeuge der Abgasnorm Euro 4 und schlechter. Im Stuttgarter Talkessel gilt seit Juli 2020 sogar ein Fahrverbot für Euro-5-Diesel.
Ein näherer Blick auf die Situation zeigt allerdings, dass innerhalb dieser “kleinen Umweltzone” einige Bereiche in puncto Luftqualität völlig unkritisch sind: Sie erreichen Werte, die unter 20 μg/m3 liegen – bei einem Feinstaub-Grenzwert von 50 μg/m3. Dagegen gibt es außerhalb der Umweltzone hochkritische Bereiche mit 100 μg/m3 und mehr. Pauschale Fahrverbote verlagern das Problem damit nur. Die Emissionen und damit verbundenen Luftverunreinigungen entstehen dann im Umland. Die Alternative zu Komplettsperrungen ist es, den Verkehr mit reduziertem Immissionsaufkommen am Laufen zu halten.
Das Lagezentrum in Stuttgart konnte nur auf unzureichende Daten zurückgreifen, um die Situation zu bewerten. Der pauschale Feinstaubalarm etwa stützte sich allein auf eine Atmosphärenprognose des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Mit der Hilfe flächendeckender und exakter Daten, die in Echtzeit und hoher Frequenz geliefert werden, lassen sich präzisere Prognosen stellen und gezieltere Maßnahmen gegen Schadstoffausstoß ergreifen. Die Erfassung der tatsächlich hervorgerufenen Immissionen in deutschen Städten basiert bislang auf den Daten der wenigen Messpunkte des Umweltbundesamtes. Weitere IoT-basierte Sensorik im Verbund mit Simulationsmodellen hilft, ein präziseres Bild über die tatsächliche Schadstoffemission und damit verbundene Immissionsbelastung zu erzeugen. Vollständig sind diese Modelle nur unter Berücksichtigung von Satelliten- bzw. Wetterprognosedaten.
Zu den datenbasierten Werkzeugen, um das Verkehrsmanagement bei Entscheidungen zu unterstützen, zählt etwa ein Dashboard. Es stellt die Luftqualität auf granularer Ebene dar, zeigt mögliche Grenzwertüberschreitungen an und simuliert verschiedene Maßnahmen-Szenarien. Das Dashboard zeigt der Verkehrsleitzentrale übersichtlich alle relevanten Komponenten wie Messwerte, hohes Verkehrsaufkommen und Wetter. Eine integrierte KI-basierte Vorhersage der Entwicklung ermöglicht ein frühzeitiges Einleiten geeigneter Maßnahmen zur Vermeidung von Grenzwertüberschreitungen von Schadstoffen. Das Informationssystem ermittelt zudem, welche Auswirkungen bestimmte Maßnahmen der Verkehrssteuerung im Zeitverlauf erzielen und bewertet die verschiedenen verfügbaren Steuerungsinstrumente auf ihre Angemessenheit. Eine intelligente Verkehrsanlagensteuerung und Geschwindigkeitsanpassung lässt den Verkehr weiterfließen, senkt die Umweltbelastung und schafft Akzeptanz bei den Verkehrsteilnehmern. Vorher-/Nachher-Analysen zeigen den Verantwortlichen, welche Maßnahmen welche Wirkung haben.
Auch die Automobilindustrie kann ihren Beitrag zu Reduzierungen des Schadstoffausstoßes leisten. Ein Ansatz, um ein klares Bild über Emissionsdaten zu erhalten, sind zum Beispiel On-Board-Units, mit denen sich Fahrzeuge auch nachrüsten lassen. Über Komplettsysteme wie Low Carbon Mobility Management (LCMM) lassen sich Logistikflotten steuern. Eine App hilft Fahrern, einen umweltorientierten Fahrstil zu entwickeln. Über ein Cloud-Backend mit Dashboards steuern Flottenbetreiber ihre Flotten durch eine aktuelle Positionserfassung des jeweiligen Fahrzeugs optimal. DHL und DB Schenker setzen das patentierte System in Europa und China ein und konnten durchschnittlich 20 Prozent Schadstoffausstoß ihrer Fahrzeuge und 15 Prozent Kosten durch Kraftstoffverbrauch reduzieren.
Datenbasierte Ansätze berücksichtigen immer die spezifische Situation innerhalb einer Stadt und erlauben so individuelle und flexible Lösungen, um die Luftqualität zu sichern. Daten über Verkehrsströme und die Parksituation bieten wichtige Hinweise für die Bewertung der aktuellen Verkehrssituation und helfen zu entscheiden, ob Maßnahmen zwingend notwendig sind.