Produkte zu entwickeln und zu bauen, die von vorn herein den eigenen Kunden in den Mittelpunkt stellen, wird für immer mehr Unternehmen zum wettbewerbskritischen Faktor. Die Funktion von Produkten aber auch über ihren gesamten Nutzungszeitraum 24/7 zu überwachen, sie aktuell zu halten oder gar immer weiter zu optimieren ist etwas ganz anderes. Ein Weg, auf den nahezu alle Unternehmen des produzierenden Gewerbes große Hoffnungen setzen. Die Gründe sind naheliegend.
So verursacht in der Fertigungsindustrie kaum etwas einen größeren Kosten- und Imageschaden als Rückrufaktionen. Beispiel Automotive: Nur in Deutschland wurden in den fünf Jahren vor „Dieselgate“ 6,5 Millionen Autos von ihren Herstellern kurzfristig in die Werkstatt beordert und damit de facto vorübergehend aus dem Verkehr gezogen. Allein die an den Neuzulassungen gemessene Rückrufquote belief sich 2014 in Deutschland auf durchschnittlich 63 Prozent. Anders gesagt: Fast zwei von drei Neuwagen, quer durch die Bank, ob sie aus Fernost, den USA oder Europa kamen, mussten im ersten Betriebsjahr mindestens einmal außer Plan zurück in die Werkstatt. Andere Branchen – gleiches Bild. Ob Herzschrittmacher, Waschmaschine oder Laptop, Mikrowelle, Babyspielzeug oder Selbstbaumöbel.
„Mit dem Digitalen Zwilling erhalten wir ganz neue Möglichkeiten in der Produktentwicklung.“
Warum ist das so, obwohl doch heutige Produkte mit äußerster Sorgfalt, viel Erfahrung und auf Basis modernster Werkzeuge entwickelt und produziert werden? Einer der Gründe ist, dass Produkte immer auf Basis von Annahmen und Erfahrungswerten zur späteren Nutzung, zu Betriebsbedingungen und Lasten entwickelt werden, die sich möglicherweise im Nachgang als nichtzutreffend erweisen. Schnelles, systematisches, vollständiges und automatisiertes Feedback aus dem Feld zu Produktqualität, -sicherheit und -nutzung könnte Abhilfe schaffen, indem diese Art von Feedback für die proaktive Einsteuerung von zeitnahen Produktverbesserungen genutzt wird. Dies ist jedoch für viele Ingenieure noch Zukunftsmusik: Feedback aus dem Feld wird oft noch in einem langwierigen Prozess über den Service gesammelt und ausgewertet und landet oft erst mit Verzögerung bei den Ingenieuren.
Der Digitale Zwilling kann das ändern. Im Kern ist er das virtuelle Abbild eines spezifischen Produktes, das sein physisches Pendant ein Leben lang begleitet. Dabei bleibt jedes Abbild bzw. Datenmodell einem individuellen Produkt zugeordnet, von der Entwicklung über die Fertigung und den anschließenden Betrieb und wird mit dessen realen Betriebsdaten gefüttert. „So lassen sich Zustand, Qualität und Nutzung etwa eines Fahrzeugs oder einer kompletten Flotte unter Last beobachten und durch die Analyse der Daten entscheidende Ursache- und Wirkungszusammenhänge ermitteln“, erklärt Sascha Leidig, bei T-Systems Leiter des Global Competence Center PLM.
Doch nicht nur das. „Mit dem Digitalen Zwilling erhalten wir ganz neue Möglichkeiten in der Produktentwicklung“, prognostiziert der Experte für Digitale Zwillinge Christian Völl vom Beratungshaus Detecon. So sei ein strukturiertes Innovationsmanagement, das zu Produkten mit deutlich erhöhter Kundenattraktivität führt, heute schon ein unternehmerischer Erfolgsfaktor, um am Markt zu bestehen.