Ob von Oberhausen nach Hagen, von Dortmund nach Duisburg oder von Hamm nach Mülheim: Wenn der Weg zur Arbeit und wieder zurück, zweimal täglich quer durchs Ruhrgebiet führt, ist das Verkehrsmittel Auto nicht unbedingt eine Option. Mittwoch, 30. Mai 2018, 16.34 Uhr: „Und hier die Verkehrsdurchsagen auf WDR 2 – es heißt ‚Geduld haben‘ für alle, die auf unseren Straßen unterwegs sind. Denn von zurzeit 600 Kilometer Stau in ganz Deutschland haben wir 414 Kilometer, fast 70 Prozent, allein in NRW. Es geht los auf der A 1: zwischen dem Autobahnkreuz Dortmund / Unna und der Anschlussstelle Hagen-Nord …“
Verwundert es da, dass immer mehr Berufstätige auf Busse und Bahnen umsteigen? Wohl nicht. Aber mit 2,3 Millionen Erwerbstätigen, die Tag für Tag innerhalb der Grenzen des Reviers zur Arbeit fahren, ist das Ruhrgebiet die mit Abstand größte zusammenhängende Pendlerregion Deutschlands. Doch während andere Ballungsräume wie Düsseldorf oder Köln im großen Stil Berufspendler aus umliegenden Städten und Gemeinden anziehen und die Pendlerströme frühmorgens und spätnachmittags damit vor allem nur eine Richtung kennen, findet zwischen den Revierstädten tagtäglich – so die Westdeutsche Allgemeine Zeitung – „ein gigantischer Austausch der Erwerbstätigen statt“.
Das Kommunikationsportal ITCS ermöglicht es, Fahrer und Fahrgäste von Bussen, S- und U-Bahnen mithilfe der App „Rbl-Assis!“ verkehrsmittelübergreifend über Ankunfts-, Abfahrts- und Anschlusszeiten zu informieren.
Schlangen, Staus, Gedränge und Geschubse. Handtaschen, Laptoptaschen, Aktentaschen. „’tschuldigung, könnten Sie mal den Rucksack aus meinem Gesicht …?“ Aus der „7“ in die „44“ schnell vom Busausstieg über den Bahnhofsvorplatz geflitzt, Treppe runter oder rauf und hektisch immer den Blick auf die nächste Zugankunftsanzeige. Doch „Vorsicht an der Bahnsteigkante!“: In der KöR ( Kooperation östliches Ruhrgebiet) kommen neben den Bussen neuerdings auch Straßen- und U-Bahnen besser ans Ziel.
Möglich macht das ein gemeinsames Projekt der Dortmunder Stadtwerke (DSW21), der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen Aktiengesellschaft (BOGESTRA) und der Straßenbahn Herne – Castrop-Rauxel GmbH (HCR). Gemeinsam haben die Unternehmen in ihrem Betriebsgebiet nach dem Omnibusverkehr seit dem vergangenen Jahr auch für Schienenfahrzeuge und Stadtbahnanlagen ein rechnergestütztes Betriebsleitsystem eingeführt, das auf TETRA-Digitalfunk basiert. Dahinter steckt mit dem Cloud-fähigen Intermodal Transport Control System (ITCS) praktisch eine neue Generation der betriebsübergreifenden Verkehrssystemkommunikation. Was das bedeutet, macht Norbert Grossek deutlich, Leiter Unternehmensstabsstelle Strategische IT-Projekte bei der BOGESTRA. „Mit der Integration der Stadtbahnen in unser Leitsystem schließen wir die Lücke, um jährlich rund 300 Millionen Fahrgästen im Gebiet von BOGESTRA und DSW21 flächendeckend mehr Sicherheit im täglichen Reiseverlauf zu bieten. Im Besonderen die systemübergreifende Anschlusssicherung bei einem Wechsel vom Bus auf die Bahn und umgekehrt sowie die Fahrgastinformation in Echtzeit kommen unseren Kunden direkt zugute.“
Grundsätzlich ist der Druck auf den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) hoch. Und kommt praktisch von drei Seiten. High Pressure quasi. Vor allem in Ballungszentren, Metropolregionen und Megacitys wie London, Paris oder New York stoßen Verkehrsinfrastrukturen an ihre Grenzen. Dem steht das Ruhrgebiet mit seinen fast 5,5 Millionen Einwohnern kaum nach. Vorhandene Kapazitäten sind ausgeschöpft. Kleinste Störungen und unerwartete Ausfälle führen zu Verspätungen und wirken sich oft über Stunden auf nachfolgende Züge, Straßen- und U-Bahnen sowie Busse aus. Doch auf den bestehenden Gleis- und Straßennetzen müssen die Betriebe des ÖPNV künftig deutlich mehr Fahrgäste transportieren. Die steigenden Fahrgastzahlen lassen sich anders als mit einem unterbrechungsfreien Betrieb quasi nicht bewältigen.
Gleichzeitig steigen die Anforderungen der Kunden. Mit dem Anspruch an Echtzeitplanung und -kommunikation erwarten sie intelligente Mobilitätskonzepte, die ein eng aufeinander abgestimmtes Reisen und Pendeln sicherstellen. Fließend wechseln sie von Bahn und Bus auf Car- oder Radsharingangebote. Nicht umsonst ist Die Deutsche Bahn, im Wettbewerb mit car2go, DriveNow und Co., größter Carsharinganbieter (Flinkster) und zugleich erfolgreichster Fahrradverleiher (Call a Bike) Deutschlands. Das alles planen Reisende online oder mit Apps über ihr Smartphone. Zudem erwarten sie genaueste Informationen darüber, ob sich Züge, Bus und Bahnen verspäten, wann sie tatsächlich eintreffen und auf welche alternativen Fahrt- bzw. Anschlussmöglichkeiten sie gegebenenfalls ausweichen können. Im Ergebnis müssen Verkehrsbetriebe mit intermodalen Mobilitätskonzepten auf die Kundenanforderungen reagieren, um ihre Angebote einfach, verlässlich, flexibel und attraktiv zu gestalten.
Zugleich aber, das ist „Druckmacher Nummer drei“, steigt der Wettbewerb im öffentlichen Personenverkehr rasant. Der Betrieb von immer mehr Bus- und Bahnlinien wird regelmäßig neu ausgeschrieben. Nahezu jede Strecke ist heiß umkämpft. Gefordert werden unter anderem Fahrten mit belegbaren Qualitäten in Sachen Pünktlichkeit und gehaltene Anschlüsse. Und alles zu einem günstigen Preis. Jobticket hin oder her – schon ob die monatliche Zuzahlung der Arbeitnehmer 65, 80 oder 90 Euro ausmacht, ist für Berufspendler ein Punkt. Nicht zuletzt deshalb gehen Verkehrsbetriebe verstärkt dazu über, die Weichen Richtung Zukunft über kostensparende Kooperationen, die Weitervergabe einzelner Dienstleistungen an Subunternehmen und das Optimieren von internen Abläufen zu stellen. Im Fall von KöR leistet das ITCS von T-Systems einen wesentlichen Beitrag, damit die beteiligten Unternehmen die oben genannten Anforderungen erfüllen können. „Die Telekom Tochter hat ein umfangreiches Branchen-Knowhow, eine herausragende Expertise in den Technologien, die für uns wichtig sind, und kennt unsere betrieblichen Abläufe“, erklärt Franz-Josef Senf, Leiter Informationsübermittlungs- und Prozesstechnik bei der DSW21. Genau diese Mischung sei es, „die, gepaart mit einer professionellen, kooperativen Projektentwicklung, T-Systems für uns zu einem idealen Partner macht“.
Im Zuge des vollständigen Systemaufbaus für die drei Unternehmen stattet T-Systems nach 550 Bussen jetzt auch mehr als 200 Straßenbahnen mit Bordrechnern aus, die den Gleisverkehr und seine Fahrgäste an das Betriebsleitsystem anbinden. So erhalten auch Reisende im Bahnverkehr Informationen über Systemgrenzen hinweg und in Echtzeit. Das Ergebnis: weniger Verspätungen, gesicherte Anschlüsse und zufriedenere Kunden. Optional ergänzt wird das Angebot durch multimodale vertriebskanalübergreifende Ticketingsysteme. Für das fahrende Personal auf den Bahnen kann die Bordrechnerapplikation „RBL-AssisT“ so etwas wie das Herzstück der Lösung werden. Die App kommuniziert über Mobilfunk und eine standardisierte Bedienoberfläche mit den zentralen ITCS-Systemen und tauscht so unter anderem Ortungsinformationen, Soll-Ist-Vergleiche in Sachen Pünktlichkeit und Fahrtverlaufsdaten aus. Dass darüber hinaus praktisch keine weiteren Umbauten am Fahrzeug erforderlich sind, hält die Hardware- und Installationskosten für die Verkehrsbetriebe in überschaubarem Rahmen.
Im ITCS-Kern erfasst eine Analytics-Lösung sämtliche Bewegungen eines ÖPNV-Betreibers in Echtzeit. Dazu werden fortlaufend die Fahrplandaten mit der aktuellen Verkehrslage und den regelmäßigen Statusmeldungen der Verkehrsmittel abgeglichen. Aus diesen Daten wird eine Prognose über die voraussichtliche Ankunftszeit und deren Effekte auf mögliche Anschlussverbindungen erstellt. Der erste Schritt Richtung Predictive. Alle Informationen über sämtliche für den Kunden relevante Ankunfts- und Abfahrtszeiten bekommt der Fahrgast über die App oder auf den Anzeigetafeln entlang des mehr als 5.000 Kilometer langen Streckennetzes, auf dem die KöR-Systemfahrzeuge verkehren.
Lückenlose Information bedeutete für die T-Systems-Experten unter anderem, dass sie sämtliche Tunnel im Verkehrswegenetz der Bahnen – eine insgesamt über zehn Kilometer lange Strecke – mit dem TETRA-Digitalfunk vollständig und redundant mit mindestens einer Rückfallebene ausstatten mussten. Weitere Anforderungen waren die Verknüpfung von ITCS mit dem behördenübergreifenden BOS-Netz von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten sowie eine sichere, verschlüsselte Datenübertragung. „Die neue unternehmens- und verkehrssystemübergreifende Kommunikationslösung, die den öffentlichen Schienen- und Straßenverkehr verknüpft, kommt keineswegs nur dem Standardverkehrsaufkommen entgegen“, erklärt Thomas Preußner, bei T-Systems Leiter des Solution Centers Rail & Transportmanagement. „Gerade auch bei Messen, Fußballspielen oder jeder anderen Form von Großevents, die in Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet an der Tagesordnung sind, verbessert die Einbindung der Bahnen in das Betriebsleitsystem den allgemeinen Verkehrsfluss ebenso wie die individuellen Beförderungsmöglichkeiten jedes Einzelnen.“ Und von den zweimal täglichen „Rushhours“, die im Revier nicht selten – gefühlt – nahtlos ineinander übergehen, ganz zu schweigen.
Dass das ITCS darüber hinaus auch noch vollständig mandantenfähig ist und weitere Verkehrsunternehmen in kürzester Zeit integriert werden können, will sich der nächste „Verkehrsteilnehmer“ bereits zunutze machen. Die Verkehrsgesellschaft Ennepe-Ruhr mbH (VER) hat den Anschluss an den Systemverbund der anderen Revierstädte schon ausgeschrieben.