Ein letzter kritischer Blick. Noch ein leichtes Nachwischen und perfekt lackiert landet das feinwandige Sektglas wieder im Karton. Wie weitere rund 20.000 Trinkgläser an diesem Tag. Hier in Oberlahr, im tiefsten Westerwald, irgendwo zwischen Bonn und Frankfurt, sitzt einer dieser typischen deutschen Hidden Champions: seit Jahrzehnten mit einem Nischenprodukt erfolgreich, aber nur wenigen Insidern bekannt. Manchmal sind sich selbst die Lkw-Fahrer nicht sicher, ob sie mit ihrer empfindlichen Ware überhaupt das richtige Ziel ansteuern. Zu unscheinbar steht das erste Werk der Hirsch GmbH am Ende einer verkehrsberuhigten Zone am Ortsrand von Oberlahr, einem Städtchen mit nicht einmal 800 Einwohnern. Dabei ist die Kundschaft des Glasveredlers international. Selbst aus den USA schicken Glashersteller ihre Produkte per Schiff und Lkw in den Westerwald, wo sie die Wunschfarbe mit Wunschmuster verpasst bekommen.
Bis zu 200.000 Gläser lackiert Hirsch pro Tag. Mit einer IoT-Lösung kontrolliert das Unternehmen den Produktionsprozess.
Mit dem Begriff des Hidden Champions allerdings kann Hans-Jürgen Hirsch nicht so viel anfangen. „Wenn Sie meinen, dann nennen Sie uns gern so. Aber ob wir das wirklich sind, weiß ich nicht“, sagt der Geschäftsführer der Hirsch GmbH, der das kleine Unternehmen in zweiter Generation leitet. Es spielt für ihn offensichtlich keine Rolle, ob er ein Champion ist. Viel wichtiger ist ihm, mit welcher Qualität seine Maschinen den Gläsern der Kunden die richtige Farbe aufbrennen. Und diese Begeisterung schlägt sich auch auf die rund 50 Mitarbeiter durch, was am entspannten Klima in der Produktion deutlich wird.
Vieles hier in Oberlahr hat sein Vater vor 35 Jahren selbst ausgetüftelt und später gemeinsam mit Anlagenbauern und Farbenherstellern über Jahrzehnte weiterentwickelt. Auch Hans-Jürgen Hirsch gibt keine Ruhe, dreht immer wieder an der Qualitätsschraube. „Als wir angefangen haben, gab es keine fertigen Brennöfen auf dem Markt, die wir einfach aufstellen konnten. Wir haben uns hingesetzt, unsere Anforderungen definiert und dann wurde geschraubt, geschweißt und zusammengebaut“, blickt Hirsch auf die Gründungsphase zurück.
Und die Lacke? Auch die sind Teil des Erfolgs. Seit sieben Jahren kauft Hirsch die Farbe beim selben Hersteller ein, der die Lacke exklusiv für den Glasveredler produziert. Hirsch: „Wir setzen die jeweiligen Lacke nur für einen Kunden ein. Insofern bekommt er damit ein Alleinstellungsmerkmal, das ihm hilft, sich im Markt von anderen zu unterscheiden.“ Wichtig, denn zu seinen Auftraggebern gehören Topmarken, deren Gläser nicht ganz preiswert sind. Um wen es sich bei diesen Kunden handelt, verrät Hirsch nicht. Das ist Ehrensache und bleibt sein Berufsgeheimnis. „Unsere Kunden wollen einfach nicht bekannt werden lassen, dass sie ihre Gläser nicht selbst lackieren. Das respektieren wir. Dafür kommt es bei den meisten unserer Kunden auch nicht auf den Preis an. Hauptsache, sie bekommen die immer gleiche Topqualität. Und die garantieren wir ihnen“, betont Hirsch.
Qualität. Dies ist das Stichwort, wenn der Glasveredler von neuen Technologien in seiner Produktion spricht. Getüftelt wird immer noch und sicher auch in der Zukunft, da sich Hirsch niemals mit der Qualität seiner Produkte zufriedengibt. Dranbleiben müsse er, erklärt der studierte Betriebswirt. „Die Konkurrenz schläft nicht.“ Als kleiner Mittelständler könne er nur durch Topqualität bestehen. Glashütten würden versuchen, selbst ins Lackiergeschäft einzusteigen. Was auch Sinn machen könnte. Denn wenn sie die Gläser direkt am Herstellungsort lackieren, spart das viele Arbeitsschritte. Wer dagegen zum Lackieren in den Westerwald fährt, muss einpacken, transportieren, auspacken, lackieren, wieder einpacken und zurücktransportieren. „Trotzdem kommen die meisten Kunden weiter zu uns. Sie wissen, dass es sonst kaum jemanden gibt, der das annähernd so hinbekommt wie wir“, bemerkt Hirsch nicht ohne Stolz.
Einerseits geht es um das Lackieren der Gläser in der gewünschten Farbe und dem gewünschten Farbverlauf. Die andere Seite betrifft die Haltbarkeit der Farbe. Spülmaschinengeeignet ist ein Kriterium für die Gläser. Spülmaschinenbeständig ist besser und für Hirsch selbstverständlich. „Für die lackierten Gläser gibt es keine direkte DIN-Norm“, erklärt Hirsch. Zur Orientierung dient aber Geschirr: Teller, Tassen und Terrinen mit farbigem Dekor gelten laut DIN-Norm 50275 als „spülmaschinenfest“, wenn sie mehr als 1.000 Spülgänge überstehen. „Wir haben Gläser testen lassen und sie haben 3.000 Spülgänge ohne Beschädigungen überstanden. Wenn wir das nicht garantierten, würden wir keinen Auftrag mehr bekommen“, meint Hirsch.
Für noch bessere Qualität tut er alles, zum Beispiel setzt er seit einigen Monaten auf das Internet der Dinge (IoT). Sukzessive vernetzt er seine Brennöfen mit Messgeräten, die die Innentemperaturen der Öfen im Zehnsekundentakt erfassen und in die Cloud senden, genauer gesagt in die Cloud der Dinge von T-Systems. Hier werden die Daten verarbeitet und die Ergebnisse in einer App dargestellt. „Wir haben damit schon so viel Neues herausgefunden über unsere Öfen, dass wir unsere Qualität damit weiter steigern können. Und wir können bei Reklamationen Kunden nachweisen, dass beim Brennvorgang alles in Ordnung war“, führt Hirsch weiter aus.
Ausgestattet mit bis zu zehn Sensoren, misst ein vernetztes IoT-Gerät an mehreren Stellen im Ofen die Temperatur. Die richtige und konstante Hitze entscheidet maßgeblich über die Qualität der aufgebrannten Lacke: ob sie Spülmaschinen überstehen, beim Transport nicht aufweichen oder über Jahrzehnte ihre Brillanz behalten. „Die Lacke müssen im Brennofen in einem festgelegten Temperaturbereich um die 180 Grad Celsius mit dem Glas verbunden werden. Fällt die Temperatur unter einen Schwellenwert oder überschreitet sie die Höchsttemperatur, leidet die Qualität. Oder noch schlimmer: Wir können eine ganze Charge wegschmeißen“, beschreibt Hirsch den Brennvorgang. Bisher zeigen die Öfen nur einen einzigen Temperaturwert für die ganze Strecke von zehn und 30 Metern an. Das Prinzip ist einfach: Fällt die Temperatur unter den festgelegten Schwellenwert, heizt der Ofen wieder bis zur Obergrenze auf. „Durch die Messergebnisse der Sensoren konnten wir jetzt feststellen, dass die Temperatur in den Öfen weitaus mehr schwankt als bisher angenommen. Und wir erfahren jetzt direkt, wo ein Brenner ausgefallen ist. Bisher passierte es schon mal, dass die lackierten Gläser aus dem Ofen kamen und die Farbe nicht richtig eingebrannt war“, so Hirsch.
Hans-Jürgen Hirsch, Geschäftsführer der Hirsch GmbH
Die Messdaten helfen dem Glasveredler auch als Nachweis. Selten kommt es vor, dass ein Kunde die Qualität einer Charge bemängelt. Dann ist Fehlersuche angesagt. War es der Brennvorgang oder der Lack? Die IoT-Werte aus dem Ofen liefern nun Hinweise auf mögliche Produktionsfehler. Da die Sensoren die Temperatur an bis zu 40 Punkten pro Lackierstraße messen, lässt sich über einen beliebigen Zeitraum nachvollziehen, ob während des Brennvorgangs alles in Ordnung war. Hirsch überlegt auch, den Kunden zukünftig einen Zugang zu den Messdaten zu ermöglichen. „Die Messdaten kann ich am Smartphone in einer App ablesen. Auch unsere Kunden könnten dann für ihre Chargen die Messergebnisse einsehen. Das wäre ein besonderer Service, mit dem wir das Vertrauen der Kunden weiter steigern könnten“, glaubt Hirsch.
Wie in jedem produzierenden Gewerbe, sind auch bei der Hirsch GmbH die Maschinen das Herzstück der Firma. Und die fallen hin und wieder aus. Dann steht die Produktion still, der Fehler muss gefunden werden, und ein Ersatzteil muss her. „Das kann mehrere Stunden dauern und schlimmstenfalls auch Tage“, weiß Hirsch. „Unsere Maschinen sind Unikate eines Anlagenbauers. Wenn etwas ausfällt, dann liegt in der Regel nicht sofort das passende Ersatzteil parat.“ Mit den Werten der Sensoren am IoT-Gerät hofft der Mittelständler, Unregelmäßigkeiten im Brennofen früher erkennen zu können. „Wenn ein bestimmter Abschnitt im Ofen zu kalt ist, deutet das auf einen Fehler oder gar auf einen drohenden Ausfall des ganzen Ofens hin. Dann können wir dank Predictive Maintenance den Ofen gezielt reparieren und Ausfallzeiten senken“, hofft Hirsch.
Auch für den Transport hat Hirsch schon Ideen, wie er IoT-Lösungen einsetzen will. Tracking und Tracing lautet das Stichwort. Für einen amerikanischen Kunden hat der Glasveredler vor Jahren einen Schiffscontainer voll veredelter Topgläser in die USA zurückgeschickt. Als der Kunde vor Ort die Ware aus den Kartons nahm, war die Farbe teilweise verlaufen und klebte fest an den Kartons. Die Experten rätselten über die Ursachen. In Oberlahr waren die Gläser einzeln geprüft und in bester Qualität in die Kartons gekommen. „Wir haben dann herausgefunden, dass unser Container auf dem Transportschiff praktisch tagelang der prallen Sonne ausgesetzt war. Aufgrund der daraus resultierenden enormen Hitze im Container fingen die Lacke an, weich zu werden. Die Charge war zwar teilweise unbrauchbar, aber wir wissen jetzt, worauf wir beim Transport achten müssen“, berichtet Hirsch. Eine Lösung sieht er im Tracking und Tracing des Transports. Hirsch: „Wenn wir die Container mit einem IoT-Gerät mit GPS-Sender und Sensoren ausstatten, wissen wir immer, wo unsere Ware gerade ist, und wir können während des Transports Zustände wie das sogenannte Kryptoklima im Innern eines Containers kontrollieren. Zudem bekommen wir mit, ob der Container nicht irgendwo mal zu heftig auf den Boden geknallt ist.“
Schlafen kann Heinz Hirsch dank IoT jetzt auch länger. Bisher stellte sich der Glasveredler morgens sehr früh den Wecker für den Kontrollanruf im Werk. Dort fährt ein Mitarbeiter rechtzeitig die Öfen hoch, damit die Frühschicht pünktlich mit ihrer Arbeit anfangen kann. „Wenn ich den Mitarbeiter nicht erreichen konnte, musste ich raus aus dem Bett und selbst die Öfen anfeuern“, verrät Hirsch. Zukünftig wird er keinen Wecker mehr stellen müssen. Die Kontrolle übernehmen die Sensoren und die App schlägt nur dann Alarm, wenn die Öfen zur definierten Uhrzeit kalt bleiben. Ansonsten schläft Heinz Hirsch unterbrechungsfrei weiter, dreht sich noch mal im Bett um und träumt von den Vorteilen der Digitalisierung.
Ihr Ansprechpartner: Henning.Neuse@t-systems.com
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