Partner-Konsortium um den Maschinenbauer TRUMPF etabliert ersten Industriestandard für Ortungstechnologien
Ob für die Holz-, Metall-, Kunststoff- oder Textilverarbeitung – der Maschinenbau ist eine Domäne der deutschen Industrie. Dass sein Umsatz im vergangenen Jahr auf 232,5 Mrd. Euro neuerlich angestiegen ist, resultiert einer Analyse von Commerzbank Industrie Research (CIR) zufolge auch aus der fortschreitenden Anpassung der Unternehmen bei Fertigungstiefe und Kernkompetenz. Produktivität rauf, Fixkosten runter. Damit jedoch gilt gerade bei Spezial- und Hightech-Maschinen, dass für ihre Produktion zuverlässige Logistikprozesse rund um die Zulieferlandschaft immer wichtiger werden. Im Klartext: dass bis zu Tausende von Bauteilen und Komponenten zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein müssen. In Ditzingen bei Stuttgart zum Beispiel.
Hier, am Stammsitz des 1923 gegründeten Unternehmens, hat es sich der Maschinenbauer TRUMPF zur Aufgabe gemacht, die Produktionstechnik weiter zu entwickeln und digital zu vernetzen. Ob zum Stanzen, Biegen, Schweißen oder Schneiden – seine hochkomplexen Anlagen, Systeme und Werkzeuge baut TRUMPF heute an Produktionsstandorten weltweit. Von Mexiko und den USA bis Japan und China. Mit seinen 14.500 Mitarbeitern ist das Unternehmen Markt- und Technologieführer bei Werkzeugmaschinen und Lasern für die industrielle Fertigung. Längst ebnen eigene Softwarelösungen den Weg in die Smart Factory und ermöglichen in der Industrieelektronik Hochtechnologieprozesse. Um die eigene Fertigungstechnik aber noch wirtschaftlicher, präziser und zukunftssicherer zu machen, will der Konzern neben der Produktion selbst auch deren vor- und nachgelagerte Prozesse effizienter gestalten.
Dazu stellt TRUMPF im Frühjahr den neuen Ortungstechnologiestandard omlox vor, den die Schwaben gemeinsam mit Partnern entwickelt haben. Die Unternehmen reagieren damit auf den steigenden Einsatz von Lokalisierungslösungen in der industriellen Fertigung. Wenn man so will, steht omlox als Begriff auch für eine neue Weltsprache. Denn dieser Standard ermöglicht sowohl den Einsatz von Ortungsgeräten unterschiedlicher Hersteller auf der Hardwareseite, als auch die gemeinsame Anbindung von verschiedenen Technologien wie Ultrabreitband, RFID, 5G oder GPS auf der Softwareseite. „Ziel der Initiative ist es, Industriekunden den Einsatz von Hardware und Software verschiedener Hersteller zu erleichtern. Dies spart dem Endkunden Aufwand und Kosten“, sagt Thomas Schneider, Entwicklungsgeschäftsführer bei TRUMPF. Da ein Unternehmen einen neuen Industriestandard allerdings nie allein definieren – und etablieren – kann, hat TRUMPF zunächst mehr als 60 Portfoliopartner aus Europa, Asien und den USA in ein Konsortium zusammengebracht. Darunter auch die Deutsche Telekom sowie die T-Systems als größten Systemintegrator im Projekt.
Im Juli dieses Jahres nahm Céline Daibenzeiher, Head of New Business Technology bei Trumpf, für die Ortungstechnologie Omlox den Hermes Award 2020 der Hannover Messe entgegen.
Zwar nutzen nahezu alle Unternehmen, ob in der Logistik oder Produktion, zur Optimierung ihrer Lieferketten längst auch digitale Hilfsmittel. Aber fast immer unterschiedliche. Beispielsweise Sensoren, die frühzeitig Ausfälle und Störungen an Maschinen erkennen und melden oder Track-and-Trace-Lösungen, die in Echtzeit den genauen Ort, Erschütterungen und Umgebungstemperatur von Gütern messen. Unternehmen sparen dank dieser Lösungen Zeit und Geld – egal ob mit kurzfristigen Reparaturen oder langfristigen Datenanalysen. Doch vollkommen transparente Lieferketten sind bisher eine Illusion. Christian Lüders, IoT Offering Manager bei T-Systems, weiß warum: „Aktuell fehlen Lokalisierungslösungen, die eine Datendurchlässigkeit innerhalb und außerhalb der Fertigungsfläche ermöglichen und die gleichzeitig standardisiert in die IT-Infrastruktur integriert werden können.“
omlox setzt auf die Vernetzung der Fabrik als Herzstück der Lieferkette. Um Positionen von Assets wie beispielsweise Werkzeugen auch dort dezimetergenau bestimmen zu können, muss der Einsatz von Ortungslösungen im Industrieumfeld unter anderem mit dem allgegenwärtigen Metall in der Fabrik zurechtkommen, das die Funkwellen reflektiert bzw. abschattet. Ultra-Wideband (UWB) hat sich hier als besonders robuste Funktechnologie etabliert. Mit Hilfe dieser Funkwellen können beispielsweise fahrerlose Transportsysteme oder Drohnen genauer und robuster ihre Position im Raum berechnen und besser navigieren. Ob es um reines Tracking geht oder darum, so genannte Automated Guided Vehicles mit dezidierten Produkten, Paletten oder Paketen automatisiert von A nach B fahren zu lassen – überall ist die Position die Grundlage für höherwertige Applikationen wie beispielsweise einer Anti-Kollisionserkennung. Dank des neuen Standards omlox lassen sich nun Geräte verschiedener Anbieter innerhalb des UWB-Bereichs direkt anschließen und miteinander kombinieren, wie das beispielsweise im Konsumenten-Bereich bereits bei USB- oder Bluetooth-Technologie per Plug-and-Play möglich ist.
Doch je nach Einsatzszenario ist die Technologie dahinter eine andere. Geht es um 100-Meter-Genauigkeit oder um die Präzision weniger Zentimeter? Diese Bandbreite benötigter unterschiedlicher Technologien wird es schon aus Kostengründen immer geben. Das Geschäftsmodell vieler Anbieter besteht meist aus proprietären statt aus kompatiblen Positionierungslösungen. Das hat jedoch einen Lock-in-Effekt bei den Kunden zur Folge. omlox hat das Ziel, mit dem Standardisierungsansatz ein Ökosystem auf Basis offener Software Development Kits und Hardware-Designs zu etablieren, um diese Silos aufzubrechen.
Im Kern liefert der omlox-Hub eine Art Übersetzungshilfe der unterschiedlichen Sprachen von UWB, WLAN, GPS, Cellular Positioning (z.B. 5G) und Co. Denn der Markt für Track-and-Trace-Technologien ist von enormer Varianz. Und nicht jede Technologie eignet sich für jeden Abschnitt der Lieferkette.
Je nach Anwendungsbereich eignen sich die Technologien WLAN, Bluetooth Low Energy (BLE) und Ultra-Wideband, um Güter in geschlossenen Räumen wie Lagerhallen flächendeckend zu lokalisieren. Für eine exakte nicht-kontinuierliche Positionsbestimmung, beispielsweise bei der Übergabe von Waren, ist Radio Frequency Identification (RFID) die richtige Technologie. Das eignet sich besonders gut, um Waren zu registrieren, die die Produktionshalle verlassen. Denn RFID funktioniert nicht flächendeckend, sondern nur in der Nähe von RFID-Lesegeräten, die Daten aus einem Transponder an der Ware auslesen.
Die Ortung von Fahrzeugen und Gütern auf ihrem Transportweg funktioniert hingegen am besten per GPS und über das Mobilfunknetz. Alle Technologien unterscheiden sich allerdings in ihrer Reichweite, Genauigkeit sowie Funktions- und Prozessstabilität. Wenn mehrere Funktechnologien auf der Lieferkette eingesetzt werden, kann es so zu Beeinträchtigungen kommen, beispielsweise können Daten verloren gehen.
Bisher sind zwar einzelne Bereiche der Lieferkette transparent, aber übergeordnete Systeme, die die einzelnen Technologien effizient und standardisiert verbinden, existieren noch nicht. Ein Überblick über die gesamte Lieferkette fehlt. Die manuelle Integration der Silolösungen und ihrer Daten ist derzeit aufwendig. Eine Ende-zu-Ende-Vernetzung ist bisher kaum möglich.
Für einen Überblick über die gesamte Lieferkette müssen alle Daten synchronisiert und die Positionierungsdaten in ein einheitliches Koordinatensystem übertragen werden. „Integratoren wie T-Systems verknüpfen hier die Daten der Positionierungssysteme unterschiedlicher Anbieter miteinander und integrieren sie in eine Edge-Cloud-Plattform“, sagt Sandro Schmidt, verantwortlich bei T-Systems für die Automobilzuliefer- und Fertigungsindustrie in Süddeutschland. Das umfasst Daten der IoT-Sensoren verschiedener Lösungsanbieter bis zu den Daten der Steuerungssysteme in der Fertigung. Und mittendrin der so genannte „Milkrun“, in dem die unterschiedlichen Bedarfe von Beschaffungs-, Produktions- und Distributionslogistik aufeinander abgestimmt werden. Machine-Learning- und KI-Strategien können beim automatisierten Zusammenfügen der unterschiedlichen Daten zusätzlich unterstützen.
Sie helfen dabei, Zeit beim Be- und Entladen unterschiedlicher Güter zu sparen, liefern Wetter- und Verkehrsdaten für eine genauere Bestimmung der Lieferzeiten und errechnen die optimale Einsatzdauer von Materialträgern wie Containern oder Transportgestellen. So lassen sich nicht nur Unterbrechungen in der Produktionslinie vermeiden, sondern auch die Kapitalbindung in Produktionshilfsmitteln massiv reduzieren.