Wer digitalisiert und Technologien wie künstliche Intelligenz einsetzt, muss sich mit ethischen Fragestellungen auseinandersetzen. Unternehmen sollten nicht nur die Technik beherrschen, sondern auch deren Folgen abschätzen können. So wie es längst Sicherheit-by-Design gibt, muss Ethik-by-Design die Regel werden. Besonders die Gesundheitsbranche muss unerwünschte Nebenwirkungen von KI und Big Data verhindern.
Nutzen Sie ein Bonus-Programm Ihrer Krankenkasse und werden belohnt, weil Sie mit Ihrem Smartphone nachweisen können, dass Sie regelmäßig joggen? Und finden Sie das Angebot ethisch korrekt? Ich habe nichts auszusetzen. Diese Sportangebote sind ethisch einwandfrei, weil sie mit Unterstützung moderner Technologie die Extrameile belohnen, nicht ein Defizit diskriminieren. Schon sind wir im Thema: Mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens verschiebt sich der Schwerpunkt der Versorgung von der herkömmlichen Therapie hin zu Prädiktion, Prävention und Präzisionsmedizin. Moderne Technologien wie KI oder Big Data sind ein Segen, weil sie neue Behandlungsmethoden eröffnen. Dennoch haben viele Menschen Vorbehalte. Wenn wir jedoch vorab prüfen, ob ihr Einsatz ethisch korrekt ist und wir ein stärkeres Bewusstsein für ethische Fragen entwickeln, dann hilft das, die Akzeptanz disruptiver Technologien zu stärken. Und KI wird zum wirksamen Medikament.
Wenn künstliche Intelligenz Ängste weckt, müssen wir darüber diskutieren, wie ein ethischer Rahmen für ihre Nutzung aussehen kann.
Was können digitale Technologien bereits? Smartphones erkennen dank maschinellem Lernen Demenz, Autismus oder Covid-19, KI entdeckt Tumore im Frühstadium, vernetzte Herzschrittmacher senden automatisiert Warnmeldungen an die behandelnden Ärzt*innen. Mit digitalen Technologien lassen sich medizinische Therapien entwickeln, die auf die Erkrankten, ihr Genom und ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Augmented Reality und Robotik erlauben Fernoperationen. Laut der International Federation of Robotics soll der weltweite Umsatz für Medizinroboter in diesem Jahr auf 11,3 Milliarden Dollar anwachsen – das ist mehr als eine Verdopplung gegenüber 2019. Und was haben all die genannten Gesundheitslösungen gemeinsam? Sie brauchen allesamt Patientendaten. Da diese Infos sehr sensibel sind, spielen Datenschutz und Anonymisierung eine große Rolle. Transparenz ist oberstes Gebot. Es muss immer klar sein, welche Informationen wofür verwendet werden dürfen.
Damit bewegen wir uns auf dem Terrain der digitalen Ethik. Aber was heißt das genau? Unternehmen, die die Chancen der Digitalisierung nutzen möchten, müssen sich ethisch verhalten, müssen sich mit den moralischen Folgen des digitalen Wandels für Individuen wie Gesellschaft befassen und einem umfassenden Wertesystem folgen. Sonst riskieren sie Reputations- und Haftungsschäden. Ihre Regelwerke umfassen beispielsweise Datenschutz und IT-Sicherheit, Persönlichkeitsschutz, den Schutz von Privatheit sowie die Autonomie von Individuen. Solche Unternehmen und Institutionen machen transparent, welche Daten sie für KI-Anwendungen verwenden. Denn sie möchten mögliche Verzerrungen und damit Benachteiligungen bestimmter Personengruppen verhindern. Sie entwickeln „Digitale Ethik“-Guidelines für ihre Mitarbeitenden, Entwicklungsteams und Dienstleister. Und bevor sie digitale Lösungen zur Verbesserung der Gesundheit einsetzen, scannen sie, ob diese mit ethischen Grundsätzen kollidieren.
Digitale Ethik ist kein Beiwerk, sondern längst geschäftskritisch.
Bis zu vier Prozent des weltweiten Jahresumsatzes oder bis zu 20 Millionen Euro sieht die Datenschutz-Grundverordnung bei einem Verstoß vor. Und nicht nur der Healthcare-Bereich muss sich für weitere Regulierungen wappnen. Weil Expertinnen und Experten in KI-Anwendungen eine große Bewährungsprobe für den Datenschutz sehen, hat die Europäische Kommission im April 2021 den Gesetzesentwurf für vertrauenswürdige künstliche Intelligenz vorgelegt, der Verstöße mit bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes ahnden will. Dieser EU-AI-Act soll bis 2024 alle KI-Einsätze regulieren und in Sicherheitsklassen eingruppieren.
Mit Blick auf die digitale Ethik sollten Unternehmen jeder Branche folgende Fragen beantworten können:
1. Welche Technologien könnten sich in Zukunft auf die Unternehmensethik und Reputation auswirken und wie lassen sich solche Bedrohungen identifizieren?
2. Wie definiert das Unternehmen den eigenen ethischen Standard – über Gesetze und Vorschriften hinaus? Wie lässt sich ein unternehmensweites Bewusstsein schaffen?
3. Wie müssen praxisnahe Anleitungen und Standards für Mitarbeitende aussehen, die mit neuen Technologien arbeiten?
4. Wie lassen sich Technologien überprüfen, um sicherzustellen, dass sie im Einklang mit der eigenen Unternehmensethik stehen?
Beim Thema digitale Ethik und datenzentrierte Innovation sollte der Compliance-Bereich eine Schlüsselrolle übernehmen und ein gesetzeskonformes Compliance-Framework entwickeln, das Werte und Gesetze in praxisnahe Handlungsanweisungen übersetzt.
Immer wenn es um sensible Daten und Systeme geht, ist Ethik-by-Design künftig ein Muss. Ethik ist die Voraussetzung für die gesellschaftliche Akzeptanz einer Marke und ihrer digitalen Produkte und Services. Unternehmen punkten nicht allein mit innovativen Produkten, sondern zunehmend mit ihrem Wertesystem. Sie müssen sich daher mögliche Fallstricke moderner Technologien bewusst machen: Gerade KI ist ein spannendes Thema. Weil sie unglaubliche Möglichkeiten bietet und wir sie dennoch einhegen müssen.