Menschen sind, trotz aller zivilisatorischen Entwicklung, „Bewegungstiere“. Sich nicht selbstständig fortbewegen zu können, egal ob durch einen Unfall, eine Erkrankung oder altersbedingte Probleme, ist eine enorme psychische Belastung.
Ähnliches gilt, wenn der Bewegungsradius aus irgendeinem Grund eingeschränkt werden muss, etwa das Gelände einer Gesundheitseinrichtung nicht verlassen werden darf, nicht umsonst wird „eingesperrt sein“ als Strafe eingesetzt.
Um dem Gefangen sein im eigenen Körper entkommen zu können, setzten Wissenschaftler und Mediziner bislang meist auf biologische Methoden, beispielsweise die Züchtung von Nervenzellen oder die Implantation von Stammzellen, um geschädigtes Gewebe zu regenerieren. Die Digitalisierung und die enormen Fortschritte in Robotik und Computertechnologie eröffnen heute aber noch einen ganz anderen Weg zu mehr Mobilität.
Gedanken gesteuerte Exoskelette und Rollstühle, Roboterbeine und -arme, „intelligente“ Rollatoren und Implantate im Gehirn sollen den Menschen die Bewegungsfreiheit zurück bringen oder sie erhalten helfen. Die Möglichkeiten sind mannigfaltig, eine verbreitete Nutzung von Technologie als Heilmittel soll schon innerhalb der nächsten Dekade zu erwarten sein. Bei aller Euphorie über technische Hilfsmittel sollten dennoch, wie bei jedem „Medikament“, eventuelle Risiken und Nebenwirkungen nicht außer Acht gelassen werden.
Durch einen Unfall oder eine Krankheit dauerhaft gelähmt zu sein, zählt wohl zu den Albträumen vieler Menschen. Umso schlimmer, wenn auch die Arme (fast) nicht mehr bewegt werden können. Der Alltag ist ohne Hilfe kaum zu bewältigen, die einfachsten Dinge fallen schwer. Abhilfe schaffen beispielsweise Roboterarme, die am Rollstuhl befestigt und mittels Joystick gesteuert werden können. Selbstständig nach etwas greifen zu können, ist ein Stück Unabhängigkeit und steigert die Lebensqualität der Betroffenen enorm. Als Vorbild diente die Automobilindustrie, wo Roboter in den Fertigungsstraßen längst Standard sind. Wenn Roboterarme Autoteile einbauen können, sollten sie auch in der Lage sein, nach Gläsern, Tassen oder Kleidungsstücken zu greifen, so die Überlegung.
Einen anderen Weg zu mehr Mobilität im Alltag beschreiten Firmen wie tech2people aus Österreich. Statt zusätzlicher Bauteile sollen Roboteranzüge, sogenannte Exoskelette, gelähmte Menschen wieder gehen lassen. Exoskelette erinnern an die Roboterkampfanzüge aus Sciencefiction-Filmen, Motoren an Hüfte und Knie übernehmen die Bewegung der Gliedmaßen. Gesteuert werden die „Roboterbeine“ meist über Sensoren, die die Eigenbewegung des Patienten messen, verstärken und ausgleichen. Ältere Modelle werden manuell über Joystick gesteuert.
Die Bewegungen mit dem Exoskelett sind, bedingt durch die Motoren, grob und wenig fließend, die Benutzung erfordert einiges an Übung. Derzeit müssen die Patienten im Roboteranzug noch von einem Therapeuten stabilisiert werden, da der Anzug selbst das Gleichgewicht nicht hält, das muss (noch) der Träger übernehmen. Dennoch ist der Effekt enorm, nicht nur für gelähmte Patienten, sondern auch in der Reha, wie sich bei Pilotversuchen in Wiener Krankenhäusern zeigte. Zudem macht die Robotik, getrieben durch die Industrie 4.0, rasante Fortschritte. In ein paar Jahren könnte es also durchaus möglich sein, den Rollstuhl durch einen Roboteranzug als Fortbewegungsmittel zu ersetzen.
Einen Schritt weiter geht Technologie, die Exoskelette, Rollstühle oder Roboterarme „per Gedanken“ steuern lässt. Voraussetzung dafür sind Sensoren, die Gehirnströme auffangen und als Funksignale an das jeweilige Gerät senden. Auf diese Weise konnte 2019 erstmals ein Gelähmter ein Exoskelett für alle vier Gließmaßen quasi „per Gedanken“ steuern. Allerdings traten auch hier die oben erwähnten Probleme mit Exoskeletten (ungelenke, eckige Bewegungen, fehlendes Gleichgewicht) auf, zu seiner Sicherheit wurde der Patient von einem an der Decke befestigten Seil stabilisiert.
Einen anderen Ansatz verfolgen Implantate wie Neuralink. Das von Elon Musk finanzierte Projekt will Menschen helfen, die Folgen von Schäden an Gehirn oder Rückenmark rückgängig zu machen. Dazu wird ein Computerchip direkt im Gehirn implantiert, der kabellos mit einem Computer oder Steuerungsgerät kommuniziert. Rollstühle, Exoskelette, Sprachausgaben, Schreibprogramme – alles, was das Gehirn im Normalfall kontrolliert, soll über den Chip als „Bindeglied“ danach wieder möglich sein. Andere Forschungseinrichtungen und Universitäten verfolgen ähnliche Ansätze, allerdings weit weniger invasiv. Die Sensoren zum Messen der Gehirnströme werden unter die Haut gepflanzt und enthalten keinerlei Computerchips.
An den letzten Beispielen lässt sich gut erkennen, dass der Einsatz von Technologie zu medizinischen Zwecken nicht ganz ohne Risiken ist und sein kann. Drahtlose Kommunikation, so sicher und verschlüsselt die Verbindung auch sein mag, ist immer angreifbar. Mit den richtigen Geräten und Funkfrequenzen ließen sich Exoskelette, Roboterarme, „intelligente“ Rollstühle oder Rollatoren von Dritten steuern. Ein Chip im Gehirn, der Signale sendet, kann diese ebenso empfangen, dem Träger eines solchen Implantats könnten so Botschaften gesendet werden, ohne dass er sich dessen bewusst ist. Und was passiert, wenn diese Chips beispielsweise durch Cyberkriminelle manipuliert werden, um die im menschlichen Gedächtnis gespeicherten Informationen auszulesen oder zu verändern?
Technologie richtig eingesetzt wird in Zukunft zweifellos vielen Menschen zumindest ein Stück ihrer Freiheit und Mobilität zurückbringen. Die damit verbundenen Gefahren als „Nebenwirkungen“ des Therapeutikums künstliche Intelligenz sollten jedoch ebenso untersucht und berücksichtigt werden wie bei einem Medikament.