Die erste KI-Welle im Gesundheitswesen begeisterte mit Algorithmen für Bildanalyse, CT- und Mammografie. Doch diese Speziallösungen blieben oft Nischenprodukte und scheiterten an der Skalierung. Mit ChatGPT dreht sich nun das Kräfteverhältnis radikal: Generative KI zielt auf die rund 25 % Arbeitszeit, die Fachkräfte laut Münchner Zeitfresser-Studie für administrative Aufgaben verlieren.1 Im Fokus der zweiten Welle steht die umfassende Automatisierung von Routine und Administration.
Die erste KI-Welle faszinierte mit spezialisierten Diagnostik-Algorithmen, scheiterte jedoch meist an der Skalierung. Beispiel: Nierenkrebs zählt zu den zehn häufigsten Krebsarten, doch jährlich gibt es weniger als 15.000 neue Fälle in Deutschland. Selbst bei Nutzungskosten von 500 € pro Fall bleibt das Marktpotenzial mit rund 7,5 Mio. € jährlich überschaubar und unattraktiv für typische Investoren.
Generative KI verändert jetzt in der zweiten Welle das Spielfeld grundlegend: Statt komplexer Spezialfälle fokussiert sie auf alltägliche Zeitfresser – Anamnese, Befundung und Kodierung. Jeder Klinikbesuch und jede Pflegedokumentation ist ein potenzieller Anwendungsfall. Damit wächst die Zahl möglicher Nutzungen von wenigen Tausend auf mehrere Millionen jährlich, während die KI-Basistechnologie gleichbleibt. Die neue Erfolgsformel lautet: Produktivität vor Präzision – bei konstant hoher Qualität.
Für mich war der Boom an Ambient Listening Lösungen die spannendste Erkenntnis der diesjährigen DMEA, Europas führender Messe für Digital Health, in Berlin. KI-basierte Schreibassistenten können im Behandlungsraum mithören, greifen kontextbezogene Informationen aus Patientenakten auf und erstellen sekundenschnell passende Notizen oder einen Berichtsentwurf. In der bisher größten Feldstudie dazu bei Kaiser Permanente in den USA nutzten über 7.000 Ärztinnen und Ärzte ein AI Scribe System bei mehr als 2 Millionen Visiten; im Durchschnitt wurde eine Zeitersparnis von 1 Minute pro Fall erreicht.2 Eine Minute klingt wenig? Insgesamt summierte sich die Zeitersparnis auf 15.700 Stunden, und – noch wichtiger – 84% der teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte berichten, die KI helfe ihnen, sich mehr den Patienten zuzuwenden.
Ambient Listening erhält auch Einzug in die Pflege: Sprach-Apps laufen auf Smartphones, verwandeln Diktate in strukturierte Einträge und sparen damit wertvolle Minuten in jeder Pflegeschicht. Ergebnis: weniger Bildschirm, mehr Betreuung – berufsübergreifend.
Die neue Erfolgsformel lautet: Produktivität vor Präzision – bei konstant hoher Qualität.
Die zweite KI-Welle im Gesundheitswesen erfordert mehr als nur technischen Zugang & APIs zu Large Language Models (LLMs). Marktführende Anbieter etablieren Foundation-Model-Layer mit Healthcare-spezifischer Sicherheit, Mehrsprachigkeit und nahtloser Tool-Integration. Ein Beispiel dafür ist der AI Foundation Service von T-Systems: Er umfasst einen Model-Hub, Vektor-Datenbanken als Basis für “Retrieval-Augmented Generation (RAG)”, intelligente Prompt-Steuerung und umfassende Sicherheitsmechanismen – souverän und sicher gehostet in der Open Telekom Cloud (OTC). Damit lassen sich viele Anwendungsszenarien wie Ambient Listening, Coding Agents oder Patienten-Chatbots als Microservices aufbauen, auch on-premise oder hybrid. Rohdaten bleiben im Kliniknetz, für den LLM-Kontext aufbereitete Daten wie zum Beispiel Embeddings wandern in den sicheren Layer in der OTC. Der Plattformgedanke anstatt einer kleinen Speziallösung bietet den Turbo für Skalierung und Innovation.
Ein Beispiel für die Nutzung der AI Foundation Services ist der T-Systems SmartChat. Der SmartChat bringt generative KI sicher in öffentliche Einrichtungen, Krankenhäuser und Krankenkassen. Er zapft interne Wissensbasen an, beantwortet Patienten- und Versicherungsfragen, hilft bei der Erstellung von Kostenvoranschlägen, übersetzt Befunde und füllt Formulare aus – 24/7 in korrekter Fachsprache. Offene APIs können ihn an TI-Messenger, iMedOne® oder Contact-Center-Plattformen anbinden; Rollen- und Token-Limits steuert ein integriertes Benutzermanagement. Gehostet in der Open Telekom Cloud bleiben Gesundheitsdaten in deutschen Rechenzentren; ein modell-agnostischer Stack aus Open-Source-Bausteinen verhindert Lock-in. Die Open Telekom Cloud bietet alle Voraussetzungen für souveräne KI; Zertifizierung für Sozialdaten nach § 35 SGB I, Zertifikate nach DSGVO, EU Cloud Code of Conduct, ISO/IEC 27017 und ISO/IEC 27018 sowie BSI C5 Typ II und weitere sichern Compliance. Der SmartChat und die AI Foundation Services können so vom FAQ-Tool zum Automatisierungshub des Gesundheitsökosystems werden.
KI entfaltet Wirkung nur mit Vertrauen. Dies gilt besonders für die zweite KI-Welle mit den großen Sprachmodellen: Halluzinationen, Datenschutz und Haftungsfragen bremsen die Euphorie.3 Anbieter und Anwender müssen diesen Themen gemeinsam begegnen. Nur für einige der Herausforderungen gibt es technische Antworten: Natürlich sollte die Infrastruktur in Deutschland bzw. der EU stehen, und natürlich sollte das betreibende Unternehmen selbst seinen Hauptsitz in der EU haben, und damit voll der Europäischen Rechtsprechung unterliegen. Hinzu kommen technische Leitplanken für KI-Systeme und Kontrollschritte wie „LLM-as-a-Judge“ als Maßnahmen, um den Output der Sprachmodelle zu kontrollieren und zu validieren. Doch einige Risiken verlangen organisatorische Lösungen: Ein Governance Board könnte beispielsweise No-Go-Use-Cases (wie autonome Diagnosen) ausschließen oder Einsatzbereiche („Green Zones“) wie Dokumentation oder Abrechnung definieren, die erlaubt und klar reguliert sind. Der EU-AI-Act bietet hierbei mit seinen Risikoklassen wichtige Orientierung. So kann Governance vom regulatorischen Pflichtprogramm zum Skalierungsbooster werden, der die Stärken der zweiten KI-Welle – vielfältige Einsatzmöglichkeiten und hohe Akzeptanz – voll zur Entfaltung bringt.
¹ Zeitfressern auf der Spur – Dokumentationsaufwand in Münchner Kliniken, Greiling M., 2022, BibliomedManager, Fachwelt Pflege & Krankenhauswirtschaft
² Ambient Artificial Intelligence Scribes: Learnings after 1 Year and over 2.5 Million Uses, Tierney A.A. et al., 2025, The New England Journal of Medicine
³ The imperative for regulatory oversight of large language models (or generative AI) in healthcare, Meskó B., Topol E.J., 2023, npj Digital Medicine